Wächter der Pforte
Die Wächter der Pforte sind eine Legende. Einheitlich gekleidet in blauschwarze Kutten, verschwiegen, verschleiert, einem Seelenkult anhängend, ganz auf sich bezogen. Belächelt, verspottet, gefürchtet. Hilreich in der großen Sache, stets mit einer undurchsichtigen Zusatzagenda. Am Ende so plötzlich verschwunden wie sie gekommen waren.
[Für wenige Jahre ab Spiel 15 waren die Wächter der Pforte eine der größten Spielergruppen der Verzauberten Welten. Immer kontrovers, auch untereinander, zerbrach die Gruppe am Ende wohl an internen Streitigkeiten. Die Spieler allerdings kann man zu einem guten Teil noch finden und befragen, was es denn auf sich hatte mit dem Geleit der Seelen ins Jenseits... Wie viel Arbeit sich die Wächter damals mit ihrem ganz eigenen Hintergrund gemacht haben, kann man ihrer ausführlichen Bekanntmachung der neuen Gruppe ansehen:]
Bericht des Schreibers Mallorius, im Jahre der Befreiung Westbergs, nach fünfmonatigem Aufenthalt im Ordenshaus in Weltend
Wer aber in Westberg dem Tode nahe ist, an dessen Totenbett stehen alsbald verschleierte Gestalten, in schwarz-blauer Gewandung und mit einem Rautenzeichen auf der Stirn. Düster mögen sie aussehen, und doch sind sie nicht des Todes Handlanger. Manch einem Sterbenden oder Hinterbliebenem ist ihre Anwesenheit gar eine furchtsame, scheue Art von Trost. Denn sie sind die Wächter der Pforte, die Hüter des Schlafes, die dafür sorgen, dass kein Wesen unbestattet bleibt.
Die Lebenden meiden die Wächter, sofern sie es vermögen, und sprechen auch nicht von ihnen. Sogar ihren Namen erwähnen sie nicht, weil die Abergläubischen denken, das bringe Unglück. Erst wenn der Tod unter einem Dach weilt, sind sie willkommen. Wie Schatten bewegen sie sich durch die Nacht, furchtsam gemieden und doch mit leisem Dank bedacht, wann immer sie ihre traurige Pflicht erfüllen. Nur selten kommt es zu Feindseligkeiten gegen die Wächter, denn der Dienst, den sie erbringen, ist allen Bewohnern Westbergs von Nutzen.
Es heißt, der Orden sei vor etwa fünf Jahrhunderten von einer Märtyrerin namens Sominia, was in etwa "Die von Somnis' Gesandte" heißt, gegründet worden. Bis zu dieser Zeit, so will es die Legende, war den Toten Westbergs wenig Respekt entgegengebracht worden, und oft verursachten im freien Feld verwesende Leichen schreckliche Krankheiten und Seuchen. Eines Tages erschien die mysteriöse Sominia und predigte von einem bis dato wenig bekannten Gott des Todes, genannt Somnis oder auch "Herr des Schlafes". Es gelang ihr bald, eine Schar von Gläubigen um sich zu scharen und fortan betrachteten diese es als ihre Pflicht, die Toten würdevoll zu bestatten und damit ihren Seelen den Weg ins Jenseits zu bereiten. Dieses nannten sie "Den Gang durch die Pforte".
Mit eigenen Augen sah ich, dass dieser geheimnisvolle Orden sich strengen Riten unterwirft. So ist es den Angehörigen des Ordens streng verboten, neues Leben zu zeugen. Verstößt ein Ordensmitglied gegen dieses Gebot, wird es für immer des Ordens verbannt. Zwar verehren die Wächter den Gott des Todes, doch ist es ihnen ein Greuel, in den natürlichen Ablauf der Dinge einzugreifen. Weder beschleunigen sie das Sterben noch verhindern sie es. Es ist vielmehr ihr Glaube, dass Somnis, der über das Tor zum Jenseits wacht, die Lebenszeit bemisst und dass es ihre Bestimmung sei, Körper und Seele Verstorbener durch ihre Rituale auf den Weg zu bringen.
Weder schmähen noch befürworten die Wächter andere Götter, seien es Schwan, Alte Macht oder andere Glaubensrichtungen. Für ihre Dienste scheint es unerheblich, welchem Glauben der Verstorbene anhing. Denn sie bereiten alleine den Weg, wo die Seele dann ihr Jenseits findet, scheint sie nicht zu kümmern. Für sich selbst glauben die Wächter, dass ihre eigenen Seelen ewig an der Pforte wachen. Besonders verdiente Seelen werden dabei in den Rang des "Torwächters" erhoben, was wohl einem Heiligen nahe kommen mag. Sie fürchten den Tod nicht, denn er ist für sie die Erfüllung allen irdischen Strebens. Jedoch ist es ihnen nicht erlaubt, den Tod zu suchen. So kommt es auch vor, dass Heilung und selbst die hohe Kunst der Wiederbelebung innerhalb des Ordens ausgeübt wird, wenn ein Wächter noch nicht das Soll seiner ihm von Somnis auferlegten Aufgaben erfüllt hat.
In den Jahrhunderten seit seiner Entstehung hat sich eine gar merkwürdige Struktur innerhalb des Ordens herausgebildet. So unterscheiden sie zwischen den Priestern oder Wegfindern, und den Schakale genannten Kriegern. Die Aufgabe der Krieger ist es wohl vornehmlich, die Priester bei ihrer Arbeit zu schützen und die Feinde des Ordens zu bekämpfen. Die Priester dagegen sind anscheinend für die eigentlichen Bestattungen und Rituale zuständig.
Innerhalb der Priesterschaft ist eine Dreiteilung zur Tradition geworden, die wohl mit den natürlichen Gegebenheiten Westbergs zusammenhängt. Die drei Gruppen werden nach ihrer Bestattungsart unterschieden: Feuerbestattung, Erdbestattung und Wasserbestattung. Im Häfenbund und in den Grenzmarschen dominiert die Wasserbestattung, im Rebflusstal, den Wildlanden, in Steinheim und Falkenfels werden die Toten feierlich verbrannt, und in Weltend und Crossing findet man die großen Gräberfelder der Erdbestatter. Das Begräbnisritual folgt strengen Regeln. Ein Priester wird zunächst vermittels uralter überlieferter Worte der Seele den Weg durch die Pforte weisen, so dass sie sich vom Körper lösen kann. Dann wird der Körper nach den alten Riten bestattet. Wenn der Tod eintritt, ohne dass ein Wächter der Pforte anwesend ist, so glauben die Wächter, dass die unglückliche Seele bei ihrem ehemaligen Behältnis verweilen muss, bis sie erlöst wird. Ist die Zeit zwischen Dahinscheiden und Erlösung zu lang, kann es angeblich geschehen, dass die Seele auf Wanderschaft geht und dabei Schaden nimmt.
Es heißt, dass jeder, egal welcher Rasse, welchen Geschlechts oder welcher Vergangenheit, in den Orden der Wächter eintreten kann, sofern er oder sie die Prüfungen besteht und seinem bisherigen Leben abzuschwören bereit ist. Doch die Prüfungen sind sehr hart, und nicht viele überstehen sie. Ewiger Tod und ständige Verwesung sind für manchen Geist ein gar zu hartes Tagewerk. Die Wächter betreiben kleine Ordenshäuser in ganz Westberg, die sie durch Spenden dankbarer Hinterbliebener finanzieren. So wurde es mir zumindest berichtet. Angeblich ist für die Wächter eine Beraubung der Toten eine große Sünde. Der Orden wird von drei Ältesten, dem "Stillen Rat", geleitet, von denen jeder eine der drei Bestattungsarten repräsentiert. Ansonsten sind die Ordensmitglieder einander gleich gestellt und Intrigen oder Machtgerangel sind ihnen weitgehend unbekannt. Es gibt allerdings Gerüchte von einer Geheimorganisation, die sich angeblich die "Schlüsselmeister" nennt. Doch wollte oder konnte mir niemand näheres über diese Schatten in den Schatten sagen. Meist reisen kleine, lockere Verbände aus Wegfindern und Schakalen durch das Land, um ihren vielfältigen Aufgaben nachzugehen. Neben der Bestattung der Toten gehört dazu besonders der Kampf gegen die Unheilige Magie der Nekromantie, die sie auf das Schärfste verurteilen und verfolgen. In diesem Kampf setzen die Wächter alle Waffen und Magie ein, die ihnen zu Gebote stehen. Eine weitere ihrer Aufgaben scheint eine mysteriöse Suche zu sein, über die mit Außenstehenden nur selten gesprochen wird.
Während der Zeit, in der Westberg den Dämonen gehörte, existierte der Orden der Wächter im Untergrund weiter. Da sie sich nur selten in die Belange der Lebenden einmischten, wurden sie von den Dämonen im Großen und Ganzen in Ruhe gelassen. Nach der letzten Schlacht gegen die Dämonenkönigin waren sich die Wächter der Pforte ihrer Pflicht bewusst. Sie zogen auf die Schlachtfelder und nahmen sich der Sterbenden und der Toten an. Sie bekämpften auch umherirrende Untote, die aus den Schlachten übrig geblieben waren und übergaben ihre Körper Somnis zur ewigen Ruhe. So reinigten die Wächter die Roten Felder" an den Grenzen und kümmerten sich dabei nicht nur um Westberger, sondern auch um die Gefallenen der Orkstämme, der Magiertürme, Aquilar und aller anderen beteiligten Fraktionen. Doch jetzt sind sie zurückgekehrt und ich frage mich, was sie nun tun werden, da ihnen das ganze Königreich des Sommers offen steht.